“Google wacht über uns wie ein Gott, und wenn wir etwas suchen, dann
gibt er uns nur unsere Reime darauf, genauso wie sie einem, hat man im
Internet einen Drucker gekauft, noch lange Zeit danach Drucker anbieten,
und wenn man einen Schulranzen kauft, kriegt man noch jahrelang die
Werbung dazu, von Partnersuche ganz zu schweigen, und wenn man sich
selbst googelt, verschwinden irgendwann sogar die Namensvettern, und es
bleibt only you, als würde, wenn man sich den Fuß verstaucht hat und
hinkt, plötzlich die ganze Stadt hinken, aus Solidarität vielleicht, Millionen
von Hinkenden, sie bilden eine Gruppe, beinahe die Mehrheit, wie soll
Demokratie funktionieren, wenn man nur das kriegt, was man schon
gesucht hat, und wenn man das ist, was man sucht, so dass man sich nie
allein fühlt oder immer, denn man hat keine Chance, die anderen zu
treffen, und so ist das mit der Suche, bei der man auf Gleichgesinnte stößt,
Gott googelt unsere Wege, auf dass wir nicht herausfallen aus unseren
Fugen, ich treffe ständig Menschen, die das Gleiche suchen wie ich, sage
ich, und deswegen haben auch wir uns hier getroffen, und der alte Mann
sagte, genau das sei eben Schicksal” (von Katja Petrowskaja, vielleicht Esther)
Genau so funktioniert “Personalisierung”. Harald Welzer liefert in seinem
Buch “Die smarte Diktatur” weitere Beispiele: “Der Musikstreamdienst
Spotify, der 75 Millionen Nutzer hat, erfasst, wie seinen Geschäftsbedin-
gungen zu entnehmen ist, “Informationen, die Sie auf Ihrem Mobilgerät
gespeichert haben. Dazu gehören Kontakte, Fotos und Mediadaten.”
Wozu erfasst Spotify das alles, wenn man doch nur das neueste Stück von
Tocotronic hören möchte? Wenn man sich früher eine Schallplatte ge-
kauft hat, wollte die Deutsche Grammophon doch auch nicht wissen,      
was man so machte, wenn man gerade nicht Musik hörte.
Die Antwort: “Ziel ist es, den Kunden in möglichst vielen Alltagssituatio-
nen die jeweils passenden Musikvorschläge zu unterbreiten. So bietet der
Musikdienst an, beim Joggen den Rhythmus der Musik an das Lauftempo
anzupassen. Dafür braucht er Daten darüber, wie sich der Nutzer bewegt.”
Na klar. Man stelle sich bloß vor, der Jogger würde seine Musik selbst 
aussuchen, und dann passt sie gar nicht!
Das nennt man Personalisierung. Eli Pariser hat dazu das Wesentliche in
seinem Buch “Filter Bubble” geschrieben, in dem er nachzeichnet, wie
Facebook, Google und viele andere die umfassende Datensammlung über
Sie wiederum in maßgeschneiderte Informationsangebote für Sie über-
setzen.
Das Prinzip ist einfach und von Amazon bekannt: Jede Informationssuche
und jeder Kaufakt ist zugleich eine kommerziell höchst interessante Infor-
mation, die sofort gegen Sie verwendet werden kann. Daher werden Sie
regelmäßig von Amazon mit Informationen zu Büchern versorgt, die ent-
weder andere Kunden auch angesehen oder gekauft haben oder von denen
Amazons Algorithmus berechnet hat, dass sie Sie interessieren müssten.
Es kann auch sein, dass jemand dafür bezahlt hat, ein Werk in Ihrer
Vorliebenliste zu platzieren, das liegt in der Natur der Sache, denn wie
immer in der smarten Welt geht es ausschließlich darum, Ihnen noch
mehr zu verkaufen als Sie ohnehin schon haben. (S.134ff.*)
Die Personalisierung führt im Extremfall aber auch zu einer “reduzierten
Persönlichkeit” und zu einem verarmten Innenleben, da die Person daran
gehindert werden, verschiedenartige Erfahrungen zu machen und sich
auch mit Menschen, die anderer Meinung sind oder andere (soziale, po-
litische, religiöse etc.) Ansichten haben, auseinanderzusetzen. 
Welzer erklärt das so: “Personalisierung bedeutet De-Sozialisierung, also
das Wegschneiden von sozialen Zusammenhängen. Ein Kind, das heute in
der deutschen Mittelschicht aufwächst, wächst ohnehin in einem ziemlich
hermetischen Sozialuniversum auf. Es gibt in modernen Gesellschaften
keine Straßenkindheiten mehr, die immer Differenzerfahrungen in Sachen
Alter, Geschlecht, Herkunft, Sprache usw. bedeuten. In unserer Wohn-
siedlung beispielsweise spielten die Kinder von Chefärzten mit denen von
Krankenschwestern und Heizern zusammen, und übrigens spielten sie un-
beaufsichtigt und je nach Jahreszeit anders. Eltern waren noch keine
Drohnen, die jeden Schritt des Kindes beaufsichtigen und steuerten, und
sie wurden allenfalls mal beigezogen, wenn es eine folgenreiche Prügelei
gegeben hatte, bei der noch geklärt werden musste, wer Täter und wer
Opfer war und wer sich demgemäß zu entschuldigen oder wer etwas zu
ersetzen hatte. Das war es.
Personalisierung fängt heute bei der kindgerechten Ausstattung an,
verläuft über die altersgemäßen Sport- und Musikunterrichte, und hört bei
den mit Bedacht ausgewählten Medienangeboten noch nicht auf. Schon
der kleine Benedikt und die kleine Laetitia sind heute bereits in den Fän-
gen von Apple und Google. Bevor sie selbst denken können, wischen sie
schon souverän über die Displays von iPad und IPhone und lassen sich
ihre Informationen von der interaktiven Barbie und dem interaktiven Dino
geben, die auch deswegen praktisch sind, weil sie
a) die Erziehungsbeauftragen von der zeitintensiven Betreuungsarbeit
entlasten und b), da sie ja interaktiv sind, alles aufzeichnen was Laetitia so
fragt, weshalb Papa und Mama sich das abends schön anhören und
besorgte Schlüsse daraus ziehen können.” (S.149ff.*) 
Im späteren Leben haben solche Menschen dann Probleme damit, andere
Meinungen oder Lebensweisen zu akzeptieren oder zu verstehen und alles
Andersartige oder Neuartige wird sie irritieren, ärgern oder vielleicht
sogar ängstigen.
Welzer drückt es so aus:”In Form der Pesonalisierung wird individuelles
Leben erfahrungslos - einfach weil die Person systematisch daran gehin-
dert wird, eigene Erfahrungen zu machen. Alles, was ihr begegnet und ihr
unbekannt ist, wird sie, sobald es entsprechend konditioniert ist, mit Unbe-
hagen betrachten und im Zweifelsfall als ungenügend ansehen, weil es ihr
nicht liefert, was sie gewohnt ist. (...)
In ähnlicher Weise werden Dinge und Menschen, die Erwartungen nicht
efüllen, schlicht als defizitär angesehen werden. Das passt nahtlos zu der
binären Logik des “gefällt mir/gefällt mir nicht”, das ja gleichfalls keiner-
lei Raum zwischen verschiedenen Möglichkeiten der Betrachtung offen-
lässt. Dass etwas ambivalent, doppelsinnig, widersprüchlich, unfertig,
offen sein kann und gerade darin seine Qualität hat, ist in der Welt  der
personalisierten Ichs undenkbar.” (S.147ff.*)
Deshalb ist es heute wichtiger denn je, Kindern kein Handy zu kaufen und
ihnen zu ermöglichen, im realen Leben Erfahrungen zu sammeln und 
ihren Bewegungs-, Spiel-  und Erkenntnisdrang nicht einzuschränken.
Jugendliche sollte man über die Gefahren und Folgen der Benützung von
Smartphone und Facebook und Co. aufklären...
 
 
“Personalisierung” und die
     reduzierte Persönlichkeit
*) Harald Welzer, “Die smarte Diktatur - Der Angriff auf unsere Freiheit”,
      2016, Fischer Verlag