Die wenigsten Menschen, die ihr schick designtes neues Smartphone in
den Händen halten, denken daran, unter welchen menschenunwürdigen
Bedingungen dieses hergestellt wurde und welche Ressourcen dadurch
verbraucht wurden.
So stammt das Coltan, das für jedes Handy gebraucht wird, vermutlich aus
der Demokratischen Republik Kongo, da 80 Prozent des weltweit verbrau-
chten Coltans von dort stammen. Und dieses wurde höchstwahrscheinlich
von einer Minengesellschaft verkauft, die es unter billigsten, das heißt
immer: menschenunwürdigsten Bedingungen hat fördern lassen.
Das bedeutet, so Welzer, “von Minenarbeitern, die in einem Land leben,
das zwei Jahrzehnte Bürgerkrieg mit mehreren Millionen Toten hinter
sich hat, daber noch immer über keine stabile Staatlichkeit verfügt, wes-
halb internationale Minenunternehmen mit korrupten Lokalregierungen
Verträge machen, die ihnen Landnutzungen und Abbaurechte über viele
Jahrzehnte hin zusichern. Alles, was auf diesem Land geschieht, spielt
sich also innerhalb eines legalen Vertragsverhältnisses ab, ist aber zutiefst
räuberisch. Denn es gibt keine Institutionen, die prüfen würden, ob die-
jenigen, die vorher auf diesem Land lebten und nun vertrieben werden,
Entschädigungen bekommen, und keine Polizei, die verhindern würde,
dass Menschen, die nicht gehen wollen, massakriert werden. Diesen
Menschen bleibt folgende Wahl: erstens Ihr Coltan zu schürfen, unter
entsetzlichen Bedingungen und minimalster Entlohnung, zweitens in eine
Miliz einzutreten, die ihresgleichen tötet, um nicht selbst zum Opfer zu
werden, oder drittens zu verschwinden, mit dem nackten Leben.
Für all das gibt es ein schreckliches Wort, das heißt “Straflosigkeit”. Es
bezeichnet den Umstand, dass niemand für die Menschenrechtsverbrechen
oder gar die angerichteten Umweltzerstörungen zur Rechenschaft gezogen
werden kann.
Das ist ein riesiges Problem für den internationalen Strafgerichtshof in
Den Haag, der kaum Mittel hat, solche Verbrechen zu verfolgen, ge-
schweige denn zu verhandeln oder zu verurteilen. Aber es ist ganz wunder-
bar für die Unternehmen, die mit sogenannten Konfliktmaterialien Ge-
schäfte machen. Konflikt hin, Konflikt her, diese Materialien werden nun
mal gebraucht, sonst geht das Handy nicht. Oder das Windkraftwerk. Oder
das Elektroauto.
Ein Smartphone, das einen sozial und ökologisch korrekten Preis hätte -
der auf Arbeitsbedingungen westeuropäischen Standards und vermiedenen
bzw. kompensierten Umweltschäden plus der eigentlichen Entstehungs-
kosten beruhen würde - , würde schätzungsweise zwischen 2000 und 3000
Euro kosten. Da es aber unter solchen Voraussetzungen kaum möglich
wäre, mittelfristig alle Menschen der Welt und vorerst mal 1,8 Milliarden
mit Smartphones auszustatten, muss man für erheblich geringere Preise
sorgen, und das geht nur, indem man Menschen ebenso ausbeutet wie
Naturressourcen.” (S.75ff.*)
Das gleiche gilt für fast alle Produkte, die wir im reichen Westen kaufen.
Besonders umweltschädlich sind dabei solche, in denen Palmöl drinnen
steckt - denn wegen den Palmölplantagen werden in der Regel große Flä-
chen Regenwald gerodet und das ist meist auch mit brutalen Vertreibun-
gen der indigenen Besitzer und Bewohner des Landes verbunden.
Dabei wäre all das, gemessen an unserer Kaufkraft, gar nicht nötig, wie
Welzer richtig bemerkt: “Heute muss man für ein Brot nur noch halb so
lange arbeiten wie vor 50 Jahren, für ein Hähnchen oder ein Stück Butter
nur ein Zehntel solange. Damals brauchte es vier; ein Schweinekotelett
bedeutete zweieinhalb Stunden, heute nicht mal eine halbe Stunde. Der
Anteil am Einkommen, den man für Nahrungsmittel ausgab, lag 1960
durchschnittlich bei fast 40 Prozent, heute bei 14 Prozent.” (S.78ff.*)
Für ein Fernsehgeräte musste man damals (1960) übrigens ein kom-
plettes Monatseinkommen ausgeben - dementsprechend stolz war man
dann, ein solches zu besitzen.
Heute hingegen scheint sich die Devise “Geiz ist geil” durchgesetzt zu
haben. Wie konnte es soweit kommen? Welzer sieht den Grund in der
“neoliberalen Behauptung, überall stehe man im Wettbewerb und müsse
alle Konkurrenten “knallhart” unterbieten”. Dadurch ist es auch im
Alltagsleben zu einer Umwertung gekommen. Galt Geiz traditionell als
negative Eigenschaft, gilt er heute als “smart” - daher der Werbespruch
“Ich bin doch nicht blöd”.
Dazu gibt Welzer folgendes zu bedenken:
1. Der angeblichen Notwendigkeit, sich dem Wettbewerb zu unterwerfen,
liegt kein Naturgesetz, sondern eine Werteentscheidung zugrunde. Diese
Werteentscheidung lautet: Wir finden es gerecht, immer mehr Dinge für
immer weniger Geld kaufen zu können, und sind daher für menschenun-
würdige und umweltzerstörende Herstellungsbedingungen dieser Dinge.
Diese Werteentscheidung dokumentieren wir durch unser Konsumver-
halten und unsere einzelnen Kaufentscheidungen. Wir konsumieren
bewusst.
2. Durch diese Haltung verzichten wir auf die Aufrechterhaltung von
Differenz und Qualität und tragen zur Einebnung aller kulturellen
Unterschiede auf der Welt bei. Wir sind aber sehr für Vielfalt, zum
Beispiel auf Festivals oder im Urlaub.
3. Wir lehnen es ab, über die mittelfristigen Konsequenzen unserer
Werteentscheidungen Gedanken zu machen, da wir davon ausgehen, dass
wir “pre-end” länger hinauszögern können als andere Bevölkerungsgrup-
pen auf der Erde. Wir sind nämlich reicher als die anderen.“ (S.80ff.*)
Was wir dabei nicht bedenken ist, dass durch eine solche Produktionsweise
die sozialen Ungerechtigkeiten, die Armut, Rechtlosigkeit und Ausbeutung
gefördert wird - während gleichzeitig die Reichen immer reicher werden...
Hier müßte ein radikaler Sinneswandel, ein radikales Umdenken erfolgen,
wenn wir uns und unseren schönen Planeten noch retten wollen. Weg von
der billigen Massenproduktion und wieder hin zu mehr Qualität und
einem gerechten Lohn und Kaufpreis.
Außerdem: wenn das Handy teurer wäre, könnten oder würden sich
weniger Menschen (auch weniger Kinder und Jugendliche) ein solches
kaufen - und das wäre aus gesundheitlichen und datenschutzrechtlichen
Gründen sowieso wünschenswert.... (zumindest solange die IT-Konzerne
und diversen “Eliten” auf Überwachung, Ausbeutung und Unterdrückung
ihrer Mitmenschen ausgerichtet sind und das Internet für “Personali-
sierung” mißbraucht wird...)