Arbeitszeitpolitik und garantierten Grundeinkommen
Selbst, wenn man das garantierte Grundeinkommen so organisiert, dass man
die Armutsfalle vermeidet, ist noch nicht sichergestellt, dass man damit nicht
die Verfestigung einer „unguten Doppelwirtschaft“ fördert und finanziell be-
siegelt.
In einer solchen „Doppelwirtschaft“ ständen einander eine Gruppe mit staatlich
subventionierten Gelegenheitsjobs und eine Gruppe mit guten Markteinkom-
men, die das garantierte Grundeinkommen nicht in Anspruch nimmt, unvermit-
telt und höchstwahrscheinlich einigermaßen feindselig gegenüber; feindselig
wohl deshalb, weil die gut entlohnte Gruppe den – noch dazu durchaus richti-
gen – Eindruck gewinnen muss, die andere Gruppe dauerhaft zu alimentieren.
Will man eine solche soziale Polarisierung vermeiden, so muss man versu-
chen, den Arbeitsmarktentlastungseffekt möglichst breit – und das heißt auch:
möglichst auf allen Stufen beruflicher Qualifikation – zu streuen. Dies wieder-
um ist nur möglich, wenn es auf allen Qualifikationsstufen fein portionierte
Arbeitszeiten gibt.
Daraus ergibt sich ein viertes Kriterium: Die Einrichtung eines garantierten
Grundeinkommens muss mit arbeitszeitpolitischen Maßnahmen verknüpft
werden. Erst aus der Verbindung von Abstufungen des garantierten Grund-
einkommens mit Wahlmöglichkeiten der indiviuell gewünschten Lohnarbeits-
und Einkommensmenge lässt sich der Arbeitsmarktentlastungseffekt durch ein
arbeitsunabhängiges Einkommen verallgemeinern und der strukturiert starre
Arrbeitsmarkt wieder „verflüssigen“.
Deshalb sollte man die Perspektive auf die Entflechung von Arbeiten und
Essen keinesfalls als Alternative zu Arbeitszeitpolitik ansehen. Denn beide
bedingen einander. Gefahren der Entflechtung lassen sich nur arbeitszeitpo-
litisch abfangen.
Arbeitszeitpolitik wird durch Maßnahmen in Richtung auf ein garantiertes
Grundeinkommen erleichtert. Die Realisierung freiwilliger Arbeitszeitum-
verteilung scheitert heute oft weniger an den unmittelbar damit verbundenen
Einkommensminderungen. Sie wird vielmehr durch die – berechtigte – Sorge
blockiert, dass Verzichte auf Teile von Arbeit und Einkommen später Nachteile
sozialpolitischer Art bringen.
So wird das Arbeitslosengeld nach dem letzte Einkommen, also auch: dem
letzten Teilzeit-Einkommen, berechnet, unabhängig davon, ob man davor ganz-
tags gearbeitet und mehr verdient hat. In Zeiten unsicherer Beschäftigung ist
es daher individuell rational, wenn Ganztagsbeschäftigte ihre Teilzeit-Arbeits-
wünsche nicht realisieren, um sozialpolitisch keinen Schaden zu riskieren.
Gesamtwirtschaftlich ist dieses Unterdrücken von Arbeitszeit-Umverteilungs-
potenzialen freilich irrational. Diese arbeitszeitpolitische Blockierung ist nur
durch die Lockerung des Zusammenhangs von Lohnarbeit/Einkommen und
Arbeitslosengeld aufhebbar.
Im weiteren Zeithorizont wird freiwillige Arbeitszeitumverteilung durch die
strikten Anwartschaftsregelungen zur Alterssicherung blockiert. Man ist nicht
bereit, trotz der unmittelbaren materiellen Möglichkeiten auf Einkommenszeiten
zu verzichten, weil man fürchten muss, dass einem später einmal die Zeiten
„abgehen“.
Auch hier hilft nur ein Schritt in Richtung der Entflechung von Arbeiten und
Essen. Der Abbau des Kausalitätsprinzips in der Alterssicherung ist also auch
arbeitszeitpolitisch – und damit arbeitsmarktpolitisch – von Bedeutung.
Man kann dies aus arbeitszeitpolitischer Perspektive so formulieren: Neue
Arbeitszeitregelungen mit Möglichkeiten individueller Arbeitszeitreduktion 
haben nur dann Aussicht auf Breitenwirksamkeit, wenn sie gemeinsam mit
ihnen angepassten Veränderungen des Systems sozialer Sicherheit und ins-
besondere mit neuen Konzepten der Alterssicherung angeboten werden.
Das garantierte Grundeinkommen ist kein gesellschaftspoltsiches Allheilmittel.
Es ist sowohl von seiner gesellschaftspolitischen Herkunft wie auch von sei-
nen erwartbaren Effekten her in hohem Maße ambivalent. Soll es als Instrument
zur Realisierung einer Gesellschaft vermehrter individueller Wahlmöglichkeiten
tauglich sein, so muss man es mit Arbeitszeitpolitik: Arbeitszeitverkürzung und
Arbeitszeitflexibilisierung kombinieren. Bei dieser Empfehlung kann man sich
auf das allgemeine Marktmodell berufen.
Misst man den Arbeitsmarkt, so wie er heute funktioniert, am allgemeinen
Marktmodell, so fallen zwei entscheidende Abweichungen auf: Zum einen fehlt
die Voraussetzung, dass Anbieter und Nachfrager über gleiche Handelsspiel-
räume verfügen. Kapital hat auf dem Arbeitsmarkt mehr Optionen als Lohn-
arbeit. 
Daher ist Lohnarbeit auf Kapital dringender angewiesen als Kapital und Lohn-
arbeit. „Sobald es also dem Kapital einfällt – notwendiger oder willkürlicher
Einfall - , nicht mehr für den Arbeiter da zu sein, ist er selbst nicht mehr für
sich; er hat keine Arbeit, darum keinen Lohn, und da er nicht als Mensch, son-
dern als Arbeiter Dasein hat, so kann er sich begraben lassen, verhungern etc.
Das garantierte Grundeinkommen beseitigt diese Asymmetrie tendenziell, da
es die Angewiesenheit der Lohnarbeit auf die Kooperationsbereitschaft des
Kapitals mildert. Erst damit wird die in Marktmodellen stets unterstellte „Waf-
fengleichheit“ von Angebot und Nachfrage hergestellt. Man kann dies in der
Tat als ein wesentliches Moment für die „Einführung der Marktwirtschaft“
ansehen.
Zum anderen ist die im Marktmodell enthaltene Bedingung der unendlichen
Teilbarkeit des Angebots auf dem Arbeitsmarkt nicht erfüllt. Diese Nicht-Teil-
barkeit liegt nicht in der „Natur“ des Angebots an Arbeitskraft, sondern an
institutionellen Rigiditäten:
- Reduzierte Arbeitszeiten werden von Unternehmensseite nicht in ausrei-
  chendem Maße eingeräumt;
-  mit dem Einkommen bei stark reduzierter Arbeitszeit lässt sich nicht leben; - 
-  abweichende Arbeitszeiten sind sozialpolitisch benachteiligt.
Mit der Kombination von Arbeitszeitpolitik und Grundeinkommen lassen sich
solche Rigiditäten abbauen und schlechte „Alles-oder-Nichts-Wahlmöglich-
keiten“ für die Arbeitskräfte vermeiden: Erst auf dieser Basis eines garantier-
ten Grundeinkommens wird es möglich, Arbeitskraft „marktmäßig“ – im Sinne
von: in feinen, wohlabgewogenen Mengen – anzubieten. Und wenn sich das
Angebot an Arbeitskraft (durch Arbeitszeitverkürzung und Grundeinkommen)
ausreichend verknappt, wird sich auch die Nachfrage nach Arbeitskraft auf
dieses Angebot einlassen müssen.
Die Perspektive auf ein garantiertes Grundeinkommen lässt sich nicht bloß
einem Politikfeld zurechnen. Man kann für ein garantiertes Grundeinkommen
sozialpolitisch argumentieren, aber man darf es nicht nur als ein Instrument
der Sozialpolitik begreifen.
Das garantierte Grundeinkommen hat arbeitsmarkt- und arbeitszeitpolitische
Effekte, und es bedarf – insbesondere – arbeitszeitpolitischer Flankierung, um
sinnvoll zu funktionieren. Es geht also nicht an, Grundeinkommen gegen
Arbeitszeitpolitik auszuspielen; ebenso wie die Entgegensetzung von „Recht
auf Arbeit“ und „Recht auf Einkommen“ sinnlos ist.
In letzter Konsequenz hat das garantierte Grundeinkommen ebenso wie
Arbeitszeitverkürzung den Sinn, der zunehmend rationellen Produktion aus-
reichend rationale Verteilungsergebnisse abzuverlangen.
Quelle: Georg Vobruba, “Bedingungsloses Grundeinkommen,
           Grundlagentexte, Herausgegeben von Philip Kovce und
           Birger P.Priddat”,  2019, Suhrkamp Verlag Berlin, S.35ff