Das verbissene Festhalten an der Erwerbstätigkeit (Lohnarbeit) als unbedingt
gültigem Wert hat zwei Wurzeln: Arbeit schafft Eigentum und Eigentumsbe-
rechtigung (John Locke). Und: Arbeit befreit von Laster, Bedürfnis und Lange-
weile (Voltaire). Daraus folgt, dass der, der nicht arbeitet, nichts besitzt,
lasterhaftes Opfer diffuser Bedürfnisse wird und sich langweilt.
Diese Folgerung mag zulässig sein, verallgemeinerungsfähig ist sie nicht.
Denn wer nicht zu seiner Lebenserhaltung arbeitet, muss deshalb nicht unpro-
duktiv und nicht untätig sein. Im Gegenteil: Er verfügt vermutlich über Poten-
ziale, die er in einer Erwerbsarbeitsgesellschaft nicht zur Geltung zu bringen
vermag.
Am 1. Mai 2006 betonten in Deutschland die Gewerkschaften, dass unsere
Arbeitsbedingungen zunehmend würdeloser werden, dass mehr als 2,5 Milli-
onen Menschen mit 700 Euro brutto leben sollen, aber nicht würdevoll zu le-
ben vermögen. Die Würde sei antastbar geworden, doch ohne die Würde des
einzelnen Menschen gebe es keine freie Gesellschaft. Der 1.Mai ging vorüber,
eine von langer Hand vorbereitete, namenlos getarnte Strategie des Würde-
entzugs durch Prekarisierung schreitet voran.
Wenn es um ein Ende der Zukunftsängste geht, die auf der Unsicherheit der
Arbeitsverhältnisse beruhen, so ist eine konsequente Abekehr erforderlich
von jener Verbindung von Arbeit und Erwerb.
Quelle: Bernhard H.F.Taureck, “Bedingungsloses Grundeinkommen,
Grundlagentexte, Herausgegeben von Philip Kovce und Birger P.Priddat”,
2019, Suhrkamp Verlag Berlin, S.446