Grundeinkommen muss bedingungslos sein!!
a) Wenn die Intelligenz und Phantasie (der general intellect) zur Hauptproduktiv-
kraft werden, hört die Arbeitszeit auf, das Maß der Arbeit zu sein. Die Arbeitszeit
ist dann überhaupt nicht länger mehr messbar, und der hergestellte Gebrauchs-
wert steht in keinem Verhältnis zu der für die reine Herstellung aufgewendete
Zeit.
Diese kann ja nach Person und materiellem oder immateriellen Charakter ihrer
Arbeit stark variieren. Die kontinuierliche, nach der Arbeitszeit bezahlte Lohnar-
beit hingegen sinkt rapide.
Es wird immer schwieriger, ein Mindestmaß an Arbeit zu definieren, das von jeder
und jedem in einer bestimmten Zeit zu leisten ist. Es ist unmöglich, die Arbeits-
zeit von Selbständigen, Künstlern und denjenigen, die immaterielle Dienste
anbieten, zu messen.
Nur ein Grundeinkommen kann ihnen den Anreiz bieten, ihre beruflichen Aktivi-
täten zugunsten eines multiaktiven Lebens zu reduzieren – ja, erlaubt ihnen dies
in den meisten Fällen überhaupt erst.
Nur ein Grundeinkommen bewahrt sie vor dem Kampf auf einem überfüllten
Arbeitsmarkt um ein Körnchen der in ihrer Gesamtheit immer weiter gekürzten
Lohnsumme, die die Arbeitgeber ausschütten. Das allgemeine und bedingungs-
los garantierte Grundeinkommen, das zusammen mit dem Einkommen aus einer
Arbeit beziehbar ist, stellt also (…) die beste Handhabe dar, um so weitgehend
wie möglich sowohl die bezahlte Arbeit als auch die unbezahlten Aktivitäten
umzuverteilen.
b) Warum, wird oft gefragt, sollten sich die Menschen für bezahlte, gesamtgesell-
schaftlich notwendige Arbeit noch hergeben, wenn sie dank eines Grundeinkom-
mens und Selbstversorgungsarbeit auch ohne Erwerbstätigkeit gut auskommen
könnten?
Diese Frage dürfte eigentlich nur von denjenigen gestellt werden, für die Arbeit
eine widrige Nötigung ist und die deshalb nicht einsehen, warum andere sich ihr
entziehen dürfen, wenn sie sich selbst ihr unterwerfen müssen. Diejenigen hin-
gegen, für die eine Arbeit Wert hat, die sie als Selbstverwirklichung und Selbstbe-
hauptung ansehen und nutzen können, müssten die Meinung vertreten, dass
Lust und Freude am Arbeiten mit Arbeitszwang unvereinbar sind und durch
dessen Abwesenheit erhöht werden.
In Wirklichkeit befürchten hauptsächlich Arbeitgeber, deren Macht über die
Arbeitenden sich allein durch die Unfreiwilligkeit der Arbeit aufrechterhalten
lässt, die Abschaffung des Arbeitszwangs.
Lange konnten sie mit der Unterstützung der unfreiwillig Arbeitenden rechnen.
Denn es galt selbstverständlich, dass, wer nicht arbeitet, auf Kosten der Arbei-
tenden lebt und dass folglich der Arbeitszwang für alle gelten müsse.
Bis heute verteidigen die traditionell Linke und die neoliberale Rechte diese
Behauptung. Beide fordern, dass all diejenigen, deren Arbeitskraft das kapita-
listische Wirtschaftssystem nicht mehr zu verwerten weiß, zu gemeinnützigen
(oder auch nutzlosen) Billiglohnarbeiten gezwungen werden. „Workfare“ statt
„wllfare“ lautet die Parole.
Die Befürworter dieses workfare stoßen aber auf folgende Schwierigkeit:
Woraus soll die obligatorische Arbeit bestehen, die als Gegenleistung zum
Grundeinkommen gefordert wird? Wie soll man sie bestimmen, messen,
verteilen? Und wie soll man andererseits verhindern, dass die obligatorische
Arbeit in Konkurrenz tritt zu einer wachsenden Anzahl von normal entlohnten
Tätigkeiten und öffentlichen Anstellungen und diese möglicherweise verdrängt?
Die Antwort z.B. von Claus Offe und Jeremy Rifkin besteht darin, die obliga-
torische Arbeit in einem dritten Sektor von Tätigkeiten anzusiedeln, der auf
Bedürfnisse eingeht, die nicht zahlungskräftig und im Rahmen einer Markt-
wirtschaft nicht rentabel sind, etwa „ehrenamtliche und gemeinnützige Tätig-
keiten im Pflege- und Erziehungsbereich im Rahmen offiziell anerkannter
Verbände“.
Das allgemeine Grundeinkommen diente so zur Schaffung „eines postindus-
triellen Haushaltssektors“. Es würde so zur Entlohnung freiwilliger Arbeit im
Dienste von Verbänden mit anerkannt gemeinnütziger Zielsetzung dienen: zur
Entlohnung pflichtmäßiger freiwilliger Arbeit.
Einen verwandten Vorschlag finden wir bei Diane Elson: „Ein allgemeines, den
Lebensunterhalt ohne Erwerbstätigkeit abdeckendes Grundeinkommen müsste
an die Verpflichtung aller arbeitsfähigen Erwachsenen zur Erfüllung von Haus-,
Pflege- und Fürsorgearbeit gebunden sein. Personen, die bereits für ein Kind,
einen Kranken und eine behinderte Person sorgen, sollen von dieser Regelung
ausgenommen werden.“
(...) Seine perversen Folgen sind offenkundig: Er stellt den wirklich Freiwilligen
die Mithilfe pfichtmäßig Freiwilliger zur Verfügung, die dadurch Gefahr laufen, als
untergeordnete Mitarbeiter behandelt und zu weniger dankbaren Aufgaben
verurteilt zu werden. Denn sie tun das, was die wirklichen Freiwilligen umsonst
und aus Überzeugung leisten, nur in Hinsicht auf ihr Grundeinkommen - oder
zumindest a priori unter diesem Verdacht. Die pflichtmäßig wohltätige Arbeit wird
folglich zur Falle, denn sie wird entwertet. (...)
Der private Charakter häuslicher Tätigkeiten wird so verleugnet. Die Verpflich-
tung der Eltern ihrem Kind gegenüber oder des Erwachsenen gegenüber seinen
betagten Eltern wird zu einer gesellschaftlichen Verpflichtung erklärt und unter
öffentliche Kontrolle gestellt. Spontane, beziehungsintensive Tätigkeiten - deren
Spontanietät gerade ihren affektiven Wert ausmacht - werden verwaltungsmäßig
kontrolliert und normalisiert.
In beiden Fällen erhält das Grundeinkommen den Sinn einer Entlohnung für
familiäre Tätigkeiten, die so unvermeidbar in den Sog der Erwerbsarbeit geraten.
Um Anspruch auf das Grundeinkommen zu haben, muss man entweder Kinder
aufziehen oder sich um Kinder un den Haushalt anderer Personen kümmern oder
im Rahmein einer Vereinigung “freiwillig” arbeiten. Tätigkeiten, die ihren Sinn
gerade aus Selbstlosigkeit ziehen, dienen als Mittel, sich ein Einkommen zu
sichern. Die Liste “der Arbeit vergleichbarer“ Tätigkeiten kann nun bedenkenlos
auf künstlerische, kulturelle, religiöse oder sportliche Aktivitäten ausgedehnt
werden.
Tatsächlich hat sich in allen Ländern oder Städten - allen voraus in New York und
später in Großbritannien -, in denen das Recht auf eine Wohnung und ein Sozial-
einkommen plus Warmmiete alleinerziehenden Müttern von Kleinkindern vorbe-
halten wurde, die Anzahl und der Prozentsatz alleinerziehender und insbeson-
dere minderjähriger Mütter sprunghaft erhöht. Mutterschaft wurde für Arbeits-
und Mittellose die zugänglichste Erwerbsmöglichkeit. In Frankreich, wo die So-
zialunterstützung alleinstehender Mütter drei Jahre nach der Geburt des Kindes
abnimmt (ab drei wird es in kostenlosen “Ecoles maternelles” betreut), setzen
viele alleinstehende Mütter mit großer Regelmäßigkeit alle drei Jahre ein weiteres
Kind in die Welt.
Die Einführung eines “Mutterlohnes” oder eines ausreichenden “Erziehungs-
gehalts” würde ihm Rahmen der Erwerbsarbeitsgesellschaft die gleichen per-
versen Folgen zeitigen.
Deshalb, so Gorz, muss ein Grundeinkommen für alle bedingungslos gewähr-
leistet sein. Denn nur seine Bedingungslosigkeit kann die Unbedingtheit der
Aktivitäten wahren, die nur um ihrer selbst willen ausgeführt sinnvoll sind.