Die Entflechtung von Arbeiten und Essen als Voraussetzung eines
bedingungslosen Grundeinkommens
Der österreichische Soziologe Georg Vobruba beschreibt drei Phasen bei
dieser notwendigen Entflechtung von Arbeiten und Essen, die Voraussetzung
ist für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.
Dazu muss man als erstes bedenken, dass in der Frühphase der Industriali-
sierung und des Industriekapitalismus die neuartige Anforderung der indus-
triellen Lohnarbeit sich keineswegs automtisch ergab und die Menschen
anfangs erst zur Arbeit gezwungen werden mussten.
Deshalb war die erste Phase der Verflechtung von Essen und Arbeiten das
Ergebnis eines „politischen Eingriffs“: „Die unbedingte Verknüpfung von
Arbeiten und Essen (…) ist das Ergebnis  plitischen Eingriffs. Durch den Staat
(polzeistaatlichen Umgang mit Bettlern und durch Arbeitshäuser) wurden die
Existenzmöglichkeiten außerhalb des Arbeitsmarktes abgeschnitten. Erst auf
dieser Grundlage kann der Arbeitsmarkt zum zentralen gesellschaftlichen Steu-
erungsmedium werden. Hunger wird damit zum arbeitspolitischen Regulativ.
Dieser Moment von „Künstlichkeit“ , mit dem die Arbeitskraft historisch zur
Marktgängigkeit gezwungen wurde, ist ihr als systematisches Merkmal erhalten
geblieben. Arbeitskraft ist nicht Ware, sodner „fiktive Ware“. Das heiß: Sie wird
den Marktgesetzen gleich einer Ware unterworfen, fügt sich in ihren Qualitäten
jedoch der Warenform nicht restlos.” (S.340 *)
Das hat gemäß Vobruba zwei Konsequenzen und führt im Endeffekt zur
zweiten Phase der Entflechtung von Arbeiten und Essen:
• Gemessen an normalen Waren weist die „Ware“ Arbeitskraft einen Über-
schuss an Motiven auf, um am Arbeitsmarktgeschehen teilzunehmen. Sie
nimmt nicht teil, um schlicht (Faktor-)Einkommen zu erzielen, sondern um – in
letzter Konsequenz – materielle Not von sich abzuwehren. Die Arbeitskräfte
haben sich – in der Reinform liberal-ökonomischen Gesellschaftsverständ-
nisses – vor der Drohung in Acht zu nehmen, die in der neuzeitlichen Anwen-
dung des berühmten Satzes des Apostels Paulust steckt: „(…) dass so jemand
nicht will arbeiten, der soll auch nicht essen.“
• Da für die Arbeitskräfte auf dem Arbeitsmarkt nicht bloß über ökonomische
Interessen entschieden wird, sondern diese zugleich ihre Lebensinteressen
sein müssen, ist es unwahrscheinlich, dass die Verlierer im Arbeitsmarktge-
schehen (die Arbeitslosen, Arbeitsgeschädigten, Arbeitsunfähigen) die Regeln
des Arbeitsmarktes dauerhaft widerstandslos akzeptieren. Solchen Widerstand
vorwegnehmend oder ihm nachgebend (….) kommt es zur Ausbildung sozial-
staatlicher Sicherung. Damit wird das Prinzip der unbedingten Verknüpfung
von Arbeiten und Essen durchbrochen. Sozialstaatliche Sicherung bietet
arbeitsmarktexterne Lebenschancen, die aber unter lohnarbeitszentrierten
Vorbehalten stehen. Die lohnarbeiszentrierten Vorbehalte lauten: „erst (lohn-)
arbeiten, dann …, und/oder Lohnarbeitsbereitschaft zeigen, damit….“
Beispiel für Ersteres ist die Altersversorgung, Beispiel für Letzteres die
Sozialhilfe. Der Zugang zum Arbeitslosengeld steht unter beiden Vorbehalten.
Die Errichtung dieses Systems lohnarbeitszentrierter Sozialpolitik markiert den
Beginn der zweiten Phase im Verhältnis von Arbeit und Essen im Kapitalismus:
die Phase der bedingten Entflechtung von Arbeiten und Essen.
Mit ihr entstehen zwei Probleme:
Einerseits muss der Transfer von Geld aus dem ökonomischen System in das
System sozialer Sicherung gelingen. Dies findet via Steuern, Gebühren und
Beiträgen statt.
Andererseits muss die Ausbreitung von Motiven zu dauerhafter arbeitsmarkt-
externer Lebensführung unterbunden werden. Dies erfolgt durch administra-
tive Kontrollen der lohnarbeitszentrierten Vorbehalte sozialstaatlicher Sich-
erung.
Die Lösung beider Aufgaben bereitet Schwierigkeiten: Der Geldtransfer wird  
in ökonomischen Krisen schwierig. Sie schlagen in Krisen des Sozialstaats
durch. Die Hintanhaltung der Ausbreitung von Motiven zu arbeitsmarktexterner
Lebensführung ist – jedenfalls in der herrschenden Optik – ein Dauerproblem.
Davon zeugen die Missbrauchsdiskussionen. Sie begleiten die Entwicklung
des Sozialstaats von seinen Anfängen an. Es ist nicht einfach, mit dem
Missbrauchsvorwurf vernünftig umzugehen. Man muss ihn dechiffrieren, um
ihn handhabbar zu machen.
Zum einen richtet sich der Vorwurf gegen (behauptete) konkrete Fälle unbe-
rechtigter Inanspruchnahme von Sozialleistungen. (…) Zum anderen ist der
Missbrauchsverdacht Ausdruck des politischen Willens, die strikte Verflech-
tung von Arbeiten und Essen möglichst zu verteidigen.
Das ist eine prinzipielle, im weitesten Sinne ordnungspolitische Frage. In ihr
treffen unterschiedliche Interessen und Gesellschaftsentwürfe aufeinander.
Von dieser Doppeldeutung führen die Schwierigkeiten eines kritischen Um-
gangs mit dem Missbrauchsverdacht her. Einerseits kann man den emprisch
ungerechtfertigten Verdacht nicht hinnehmen und macht sich zum Anwalt
derer, die er trifft. Andererseits aber läuft man damit Gefahr, die Sicht darauf zu
verstellen, dass es prinzipiell darum gehen muss, die Entflechtung von Arbei-
ten und Essen voranzutreiben, um die existenzielle Abhängigkeit – und viel-
fache Erpressbarkeit – der Lohnabhängigen zu relativieren. (….)
Das Dilemma im Umgang mit Missbrauchsverdacht ist „prinzipienimmanent“ –
das heißt: solange der Zugang zu arbeitsmarktexternen Lebenschancen unter
lohnarbeitszentrierten Vorbehalten steht – nicht zu lösen. Ebenso wenig wie
das reale Missbrauchsproblem selbst.
Man muss beides unternehmen: den Missbrauchsverdacht in die richtige Größ-
enordnung bringen und auf die richtigen Adressaten orientieren und für die
Entflechtung von Arbeiten und Essen argumentieren. (S.339ff.*)
3. Phase: Entflechten von Arbeiten und Essen
Dabei sollte es gemäß Vobruba nicht darum gehen, die Zuteilungsfunktion des
Arbeitsmarktes zu ersetzen, sondern diese zu ergänzen: „Damit setzt man sich
zugleich von Positionen ab, die etwa von Popper-Lynkeus und Adler-Karlsson
vertreten werden. Ihnen geht es um die Errichtung eines gesellschaftlichen
Mehr-Sektoren-Modells, in dessen einem Sektor der Arbeitsmarkt außer Kraft
gesetzt wird.“ (S.348*)
Das heißt, der Arbeitsmarkt soll durch eine „Arbeitspflicht für alle“ bzw. den
Dienst in der „Nährarmee“ ersetzt werden. Der Grundeinwand gegen diese
Modelle lauten, „dass sich die Sektoren dauerhaft gegeneinander nicht sauber
abgrenzen lassen, sondern die Maktsteuerung mit der Zeit ganz verdrängt wird
und sich ein allgemeines bürokratrisches Bewirtschaftssystem mit all den
bekannten Nachteilen etabliert. (S.348*)
Soll diese Gefahr vermieden werden, so muss gemäß Vobruba der
Arbeitsmarkt nicht ersetzt, sondern ergänzt werden.
*) Georg Vobruba, “Bedingungsloses Grundeinkommen,
      Grundlagentexte, Herausgegeben von Philip Kovce und
          Birger P.Priddat”, 2019, Suhrkamp Verlag Berlin