Die “Invasion in unser Privatleben”, die seit Einführung des Internets und
der Nutzung von Smartphones seit 2003 immer massiver zugenommen hat,
beschrieb der Ex-Generaldirektor von Google, Eric Schmidt, im Jahr 2016 
so: “Von den Anfängen der Zivilisation bis 2003 erzeugte die Menschheit
fünf Exabytes Daten. Jetzt erzeugen wir alle zwei Tage fünf Exabytes -
und die Geschwindigkeit nimmt zu. In unserer Post-Privatsphären-Welt
des allgegenwärtigen Austauschs durch soziale Medien, der GPS-basierten
Ortsbestimmung, der Triangulation durch Mobilfunktürme, der Über-
wachung durch drahtlose Sensoren, der Zielbestimmung durch Browser-
Cookies, der Gesichtserkennung, der Profilierung von Konsumenten-
wünschen und endloser weiterer Mittel, durch die unsere persönliche Ge-
genwart in Datenbanken eingeloggt ist, die sich weit außerhalb unserer
Reichweite befinden, sind die Bürger kaum in der Lage, von der Leis-
tungsfähigkeit all dieser Daten zu profitieren, um klügere Entschei-
dungen zu treffen.”
Diese Aussage wurde im britischen Magazin ”wired” vom Herausgeber
Davod Rowan zitiert. Doch anstatt nun den Stopp all dieser Aktivitäten
oder wenigstens nach Datenschutz zu fordern, meint Rowan, dass es
irgendwie nicht fair sei, “dass nur alle anderen von den Daten über ihn
selbst profitieren und fordert Hilfe, nämlich bei der Auswertung “seiner”
Rohdaten zu “Informationen mit Vorhersagewert”, die “meine Stimmung
vorwegnehmen und meine Effizienz steigern, meine Gesundheit verbessern
und meine emotionale Intuition erhöhen, meine Bildungsschwächen und
meine kreativen Stärken offenbaren können.”
Damit sind wir in der Welt der “Selbstoptimierung” gelandet, die uns auf
diese (verdrehte und dreiste) Weise von sogenannten “Experten” und
Medien eingeredet wird.
Und das mit großem Erfolg. So gibt es bereits die sogenannten “Life-
logger”. Das sind Menschen, die schon heute alle erdenklichen Daten über
sich sammeln, um ihr Leben zu verbessern. Solche Daten umfassen etwa
das täglich Bewegungsprofil, verbrauchte Kalorien, Fettwerte, Gewicht,
Schlaffrequenz, Pulsschlag, Begegnungen, Kommunikation, Sexhäufig-
keit, kurz: alles, was man so macht.
Mit all diesen Daten soll die eigene Performance, die Fitness, die
Aufmerksamkeit und alles sonst verbessert werden, was mit dem eigenen
Körper zu tun hat. Denn - so das Argument dieser abdrusen Vorgehens-
weise - da dieser unberechenbar ist, sei es gut, so viele Daten wie nur
möglich zu sammeln, auch solche, von denen man heute noch nicht weiß,
ob sie mal Wert bekommen.
Abgesehen davon, dass neben den Internetanbietern auch die diversen 
Geheimdienste dabei “mitlesen” oder zumindest Zugriff auf diese Daten
haben, stellt sich die Frage, ob durch eine solche “Selbstoptimierung” tat-
sächlich das eigene Leben/ das eigene Selbst “verbessert” werden kann.
Harald Welzer beschreibt in seinem Buch “Die smarte Diktatur - Der
Angriff auf unsere Freiheit” die Folgen einer solchen Datensammlung
folgendermaßen:
“Ich stelle mir vor, wie die Benutzer sich die vergangenen Tage im
Schnelldurchlauf anschauen und ständig über Dinge stolpern, die sie im
wirklichen Leben NICHT wahrgenommen hatten - ein unerschöpfliches
Inventar nicht bemerkter Gefahren und liegengelassener Möglichkeiten!
Je mehr ich weiß, heißt das, desto mehr weiß ich, was ich nicht weiß, ein
folgenreicher psychologischer Mechanismus, der leicht ins Pathologische
überschwappen kann (....)
Denn die permanente Datenaufzeichnung verändert nicht nur die Selbst-
wahrnehmung, sondern auch die Maßstäbe des Genügens: Man nehme
nur mal die Minute, die das Joggen derselben Strecke wie gestern heute
länger gedauert hat - was ist da passiert? Oder das Zurückbleiben hinter
den selbst- oder fremdgesetzten Normen beim Rudern auf dem Heim-
trainer, beim Treppensteigen, beim Radfahren, beim Schwimmen - bin ich
etwa krank? Gestresst? hab ich schlecht geschlafen? Inzwischen liefern ja
Gadgets wie die Apple-Watch jede Menge solcher Daten und Abgleiche
über die Zeit und auch mit anderen, mit denen man sich synchronisieren
kann - eine Hölle der Objektivierung eigener Körperzustände, die den
unheilvollen Pries eines prinzipiellen Nichtgenügens in sich bergen.
Denn die Norm setzt ja nicht der Benutzer/in, sondern das Gerät. Und
ganz unabhängig vom Lebensalter, der Ausgangskonstitution, von Vorer-
krankungen, was auch immer, wird man notwendigerweise, sofern man
kein professioneller Leistungssportler ist, unter den Grenzen des Mögli-
chen bleiben. Wenn man zum Beispiel älter wird, was ja an und für sich
ein erfreulicher Sachverhalt ist, wird man unter den Möglichkeiten
bleiben, die Jüngeren verfügbar sind.
Das heißt, die Geräte erzeugen ein permanentes Grundgefühl des Nicht-
Genügens; systematisch kann man damit niemals einen Zustand der
Zufriedenheit erreichen. Der Körper wird zu einem dauerhaften Projekt
der nie hinreichend gelingenden Verbesserung.
Aber nicht nur der Körper. Längst gibt es Apps, die den eigenen Gefühls-
zustand messen und etwa Auskunft darüber geben, ob man gerade in eher
optimistischer oder pessimistischer Stimmung ist. Sobald solche Gefühls-
zustände von außen überwacht werden (nach welchen Kriterien übri-
gens?), gehören sie einem nicht mehr, und man gibt die Balance, die über
solches Monitoring eigentlich verbessert werden soll, aus der Hand.
Psychologisch gesprochen handelt es sich bei all dem um eine gesteigerte
und im Zweifel auch übersteigerte Form von Selbstaufmerkamkeit, was im
wirklichen Leben Anzeichen für eine Depression sein kann. Der Wunsch:
“Ich will Kontrolle über mein eigenes Leben gewinnen, schlägt paradoxer-
weise in sein exaktes Gegenteil um - was insofern kein Wunder ist, weil
man ja die Kontrollinstanz aus sich selbst heraus in ein Gerät hinein ver-
lagert hat. (Wenn man sich übrigens vorstellt, dass man all diese Selbst-
überwachungsprogramme ja auch hacken und den armen Lifeloggern
falsche Daten über sich liefern kann, wird die Kontrollillusion schlagend
deutlich (....))
Der zugrundeliegende Mechanismus ist ein Umkehrung des Maßstabs:
Lifelogger und Selflogger gehen nicht mehr davon aus, dass ihr Leben an
sich in Ordnung sei, sondern sie betrachten es als defizitär und nutzen die
Monitoring-Programme als Prothesen, um den gemessenen und protokol-
lierten Defiziten beizukommen.
Das muss dem Versuch gleichkommen, Wasser in einen löchrigen Eimer
zu schöpfen, und führt zu permanenten Unglücklichsein. Ihr Leben ist
eine nicht abreißende Kette von Enttäuschungen über sich selbst.
Strukturell gleicht dieses unablässige Auffüllen des defizitären Lebens
dem materiellen Konsum, der sich ja in Zeiten pausenloser Produktinno-
vationen, Neuerscheinungen und verkürzter Produktzyklen ebenfalls als
ein Gefühl des ständigen “Zuwenig” niederschlägt, obwohl man immer
mehr hat und mehr dafür investiert denn je.”
FAZIT: “Beide Verfahren, die Selbstoptimierung wie der Hyperkonsum,
sind erfolgreiche Mittel, um Unglück zu erzeugen. Unglückliche Men-
schen sind schlecht in proaktivem Handeln - auch hier eine Analogie zur
Depression - , weshalb sie leicht beeinflussbar und beherrschbar sind.” 
(S.120ff.*)
Übrigens überlegen Krankenversicherungen bereits, diese Daten zu nutzen
- zunächst noch auf freiwilliger Basis - , um bei positiver Bewertung ent-
sprechende tarifliche Vergünstigungen einzuräumen. Das würde aller-
dings bedeuten, dass erstens das Solidarprinzip (diejenigen, die nie oder
selten krank wurden, finanzieren die Beachteiligten mit, die häufiger oder
chronisch unter Krankheiten leiden) ausgehebelt wird. Zweitens würde 
dadurch früher oder später wohl eine Schlechterstellung der nicht so folg-
samen bedeuten - dicke, rauchende, trinkende, unsportliche, lethargische
Personen oer solche, die einfach keine Lust haben, sich von Versicher-
ungsmathematikern ihre Lebensweise vorschreiben zu lassen, werden
dann höhere Tarife zu bezahlen haben oder gar nicht mehr versichert
werden.
Überhaupt besteht bei diesen permanenten Bewertungen und Zwang zur
(Selbst-)Überwachung die Gefahr, dass Diejenigen, die nach eigenem
Gusto zu leben beabsichtigen und sich nicht überwachen lassen wollen, zu
“Abweichlern” werden, zu potentiellen Problemfällen, zu latenten Gefähr-
dern der Einigkeit des Kollektivs. Alle anderen ziehen es vor, ein “präven-
tives Selbst” zu sein, ängstlich darauf bedacht, selbst Normen genügen zu
können, die heute noch gar nicht aufgestellt werden.
Welzer weist aber noch auf andere fatale Auswirkungen des PERMA-
NENTEN AUFZEICHNENS hin:
“Menschliches Leben basiert nicht nur auf Erinnern, sondern vor allem
auf Vergessen. Ein Gehirn ist ein höchst ökonomisches Organ, das alles,
was nicht überlebensdienlich ist, aussortiert und dem Vergessen überant-
wortet. Man kann sogar sagen, dass die Fähigkeit zum Erinnern auf der
Fähigkeit zu vergessen beruht; Ein menschliches Gedächtnis ist selektiv
und muss es sein, um Erfahungen, die für das weitere Leben und Über-
leben wichtig sind, von solchen unterscheiden zu können, die niemals
mehr eine Rolle spielen werden. Menschen, die nicht vergessen können
(die gibt es als pathologische Fälle aufgrund von bestimmten Hirnschädi-
gungen), sind zwar physisch, nicht aber psychisch gesund, weil für sie jede
Erinnerung gleich viel wert ist und nicht selektiert werden kann.
Man stelle sich nur eine Beziehung vor, in der ein Partner an einer sol-
chen Störung leidet: Niemals wäre ein böses Wort, eine Beleidigung, eine
Lüge, auch nur ein Fehler oder eine Unachtsamkeit vergessen und ad acta
gelegt, sondern immer abruf- und gegen den anderen einsetzbar.
Die Utopie der permanenten Aufzeichnung aller verfügbaren Daten aus
allen Lebenssituationen kommt einer solchen Pathologie gleich, mit dem
Unterschied, dass sie künstlich und absichtsvoll herbeigeführt wurde.
Weder Verzeihen noch sich selbst verzeihen ist in einem solchen totalen
Erinnerungsraum vorstellbar und möglich.
Strafverschärfend kommt hinzu, dass alle Daten in diesem totalen Erinne-
rungsraum von Dritten lesbar, also zu jedem beliebigen Zeitpunkt gegen
die Person verwendbar sind.
In diesem Sinn verschwindet mit dem Vergessen überhaupt die für die
menschliche Lebensform zentrale Unterscheidungsfähigkeit von
Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft; die Gegenwart dehnt sich in
beide Richtungen unendlich aus: Jedes Datum, und stammte es aus einer
völlig anderen Phase der Lebensgeschichte, ist jederzeit aktualisierbar und
nachträglich mit neuer Bedeutung aufladbar; jede persönliche Zukunft ist
nur noch eine Funktion der aktuellen Matrix der Messdaten: Heute wieder
2000 Schritte zu wenig gegangen und ein Glas Wein zu viel getrunken.
Das wird dein Leben um 0,05 Promille verkürzen, Idiot.
Kurz: Das totale Gedächtnis ist ein anästhetisiertes Gedächtnis (Chris
Marker), es verzichtet auf Unterscheidungs-, und damit Entscheidungs-
fähigkeit. Es kann Wichtiges nicht von Unwichtigem unterscheiden und
muss diese Unterscheidung folgerichtig externen Instanzen überlassen.
Daher übrigens muss in den sozialen Netzwerken auch dauernd mit Fotos,
Selfies, Kurzberichten usw. unter Beweis gestellt werden, dass man gerade
bewundernswerte Dinge tut. Was zu einer weiteren Verkehrung führt:
nämlich die von Mittel und Zweck. Der arme Selflogger läuft ja nicht, um
zu laufen, sondern um Daten zu produzieren. Die Partygängerin geht auf
Partys nicht, um Spaß zu haben, sondern um zu dokumentieren, dass sie
Spaß hat. (...)
Man reist, um Zeugnis vom Reisen abzulegen, schaut Natur, um nachwei-
sen zu können, Natur geschaut zu haben, geht auf Konzerte, um Videos
davon zu versenden. Zwischen das jeweilige Ereignis und die eigene Er-
fahrung davon schiebt sich ein externer Zweck: Das, was eine Erfahrung
bergen könnte, ist nur noch Mittel für etwas anderes . Und eines ist nie da:
das Ich. (S.123ff.*)
*) Harald Welzer, “Die smarte Diktatur - Der Angriff auf unsere Freiheit”,
      2016, Fischer Verlag
8.6.2020
   
Die Welt der “Selbstoptimierung”