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Hier die Schilderung der Entführung und Erpressung des Beamten vom Jugendamt in „Vater unser in der Hölle“: „Während er in Gedanken die Vahrenwalder Straße entlanggeht, bremst ein paar Meter vor ihm ein Wagen, die Tür geht auf, ein Junge fällt heraus. Der Wagen fährt sofort weiter. In der Nacht hat es endlich wieder geregnet, die Räder spritzen Matsch auf Rolf und den Jungen. Rolf ist mehr mit  dem weinenden  Kleinen beschäftigt, als damit, sich die Autonummer zu merken. „Da“, sagt der Junge, als Rolf ihn fragt, wo er wohnt, und zeigt auf ein Hochhaus in der  Nähe. Weitere Fragen kann er vor Schluchzen nicht beantworten, so dass Rolf beschließt, ihn erst einmal nach Hause zu bringen. Ein Mann öffnet die Tür und lässt beide herein. Der Junge hört sofort auf zu weinen und verzieht sich in ein Zimmer am Ende des Flurs. „Gut, dass Sie da sind“, sagt der Mann lächelnd zu dem verwunderten Rolf, „wir möcheten Ihnen gerne etwas zeigen. Setzen Sie sich bitte.“ Die Situation ist so irreal, dass Rolf Albrecht sich setzt. „Was soll das?“, fragt er. Ein zweiter Mann drückt auf die Knöpfe einer Fernbedienung. „Wer sind Sie? Was ist mit dem Jungen?“, fragt Rolf, während auf einem übergroßen Fernseher Filmaufnahmen von Rolfs Familie erscheinen: Der Weg zu den Großeltern. Schulbesuch. Im Garten des Nachbarn. Mit Spielgefährten. Sein Sohn allein an einer Bushaltestelle. Jeder kleine private Weg seiner Familie ist in den letzten Wochen beobachtet und gefilmt worden. Man weiß, wann der Älteste aus der Schule kommt, wenn er allein zu einem Freund geht. Wann seine Frau spätabends vom Sport zurückkommt und durch den Parkt geht. Wozu das alles? Rolf begreift den Sinn nicht. Aber er begreift, wie verletzlich er ist. Der Mann, der die Tür geöffnet hat, öffnet eine Cola, gießt Rolf und dann sich selbst ein Glas ein. „Trinken Sie erst mal einen Schluck“, sagt er. „Das müssen Sie jetzt erst sacken lassen, was?“ Rolf trinkt. Ihm ist ein wenig übel. Dann etwas schwindelig. Er sieht den Raum nur noch verschwommen, der Mann, der mit ihm spricht, scheint kleiner zu werden. Irgendetwas piekst ihn am Arm. Er fühlt es, aber es ist ihm gleichgültig. Leute beginnen ihn auszuziehen, aber auch das ist ihm egal. Er wird auf ein Bett gelegt, das ist nett, so kann er sich ausruhen und an etwas anderes denken. Dann hat er Gesellschaft: Ein kleines Mädchen ist bei ihm. Nun weint es. Aber auch das interessiert Rolf nicht weiter.  Es ist Unruhe im Raum, Leute hantieren mit Geräten, er wird hin und her geschoben. Man reicht ihm das Mädchen und sagt ihm, er solle mithelfen, und so hilft er mit. Dann lässt man ihn in Ruhe, und schließlich wird er wieder angezogen. Dann sitzt er mit einigen Männern im Auto, die er nicht kennt. Sie sind ihm gleich- gültig; da sie nichts sagen, sagt er auch nichts. Dann ist die Fahrt zu Ende. Jemand öffnet die Tür, Rolf steigt aus einem Auto und steht allein auf der Goseriede. Er geht eine Weile  die Straße entlang, dann beginnt er sich zu wundern. Was macht er hier eigentlich? War da nicht ein kleiner Junge? Wo ist er denn geblieben? Er sieht sich um. Dann schaut er auf die Uhr. Hatte er nicht irgendetwas vor? Ja, rich- tig, er wollte sich mit Hans treffen. Um zwölf. Jetzt ist es halb vier. Hat er sich mit Hans getroffen? E kann sich nicht erinnern. Am besten, er geht nach Hause. Noch immer benommen macht er sich auf den Weg.“ (S.318ff.*) Das Medikament, das man dem Beamten gespritzt hatte, ist ein Betäubungsmittel, das Patienten bei der  Einleitung von Narkose und vor sehr unangenehmen Unter- suchungen verabreicht wird. Der Patient wird passiv, eher gleichgültig und lässt die Untersuchung entspannt über sich ergehen, als geschehe sie nicht ihm, sondern jemand anders. Als besonders wohltuend empfinden es viele Patienten, dass sie sich hinterher nicht an die Ereignisse de Untersuchung erinnern können. Manchen fehlt im Anschluss an die Operation sogar ein ganzer Tag. Und wie geht die Geschichte weiter? Einige Tage später bekommt  Rolf Albrecht  einen Brief. Dieser enthält Fotos, die ihn zeigen, wie er nackt auf einem Bett liegt und dabei ein kleines Mädchen unsittlich berührt. Mit diesen Fotos wird er nun erpresst … Warum ging Rolf nicht zur Polizei ?  Weil ihm – wie das in solchen Fällen üblich ist – damit  gedroht wurde, die Fotos und den Film seiner  Frau zu zeigen …  Außerdem hat die Sekte ihm ja klar gemacht, dass sie ev. auch vor einem Mord nicht zurückschrecken würden …  Deshalb ziehen es fast alle Betroffenen vor zu schweigen. Allerdings mit fatalen Folgen. Denn die Sekte verlangt von Rolf nicht nur, bei seiner Arbeit am Jugend- amt im Sinne der Satanisten zu entscheiden. Nach zwei Jahren muss er ihnen auch seinen eigenen Sohn zu überlassen … Das bedeutet: klüger wäre es gewesen zur Polizei zu gehen …  Denn sein Leben war sowieso zerstört. Und letztendlich konnter er auch nicht seine Familie – zumindest nicht seinen eigenen Sohn  – vor den Satanisten schützen. 13 Jahre später starb Rolf Albrecht übrigens an einem Autounfall …
*) Ulla Fröhling, “Vater unser in der Hölle”, 2015, mvg Verlag
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